Vergangene Ausstellung
„Wyrzykowskis Werke haben, so abstrakt sie auch wirken mögen, vielfach die Anmutung von Landschaft.“ Das schrieb 2012 Prof. Michael Munding dem Absolventen seiner Malklasse an der Kunstakademie Nürnberg in einen Ausstellungstext. Es ist weniger die Beschäftigung mit der Landschaft im weitesten Sinne, als vielmehr das Durchprobieren von grundlegenden, ästhetischen Elementen der Malerei, das den Künstler auch in den folgenden Jahren nach seinem Studium noch beschäftigt hat. Unter dem Titel „Fremde Welt“ sind ab dem 7. September neue Arbeiten des gebürtigen Würzburgers in der Galerie zu sehen.
Tobias Wyrzykowskis Arbeitsweise changiert zwischen Zufall und Kalkül. Sie ist eine Art Zwiesprache mit dem Bild und der Farbe: der Künstler folgt den getrockneten Ergebnissen seiner letzten Aktion, die wieder neue Ideen hervorbringen kann.
Waren es auf seinen früheren Arbeiten die Linien, die eine lebhafte und unkonventionelle Rolle auf seinen Bildern spielten, so geht es in seinen neuen Arbeiten um die malerischen Möglichkeiten der Fläche. Dabei kommen verschiedene Techniken auf einem Bild zum Einsatz. Es gibt lasierte, aufgelöste, gespritzte, wieder weggenommene, Farbe. Die Farbe wird gegossen, getupft, verzogen, ineinander geschliert, gerackelt oder auf eine Art Spachtelmasse gestrichen, wo sie schrundig aufreißt und der Spachtel seine Spuren wie ein Relief hinterlassen kann. Lackartig glänzendes oder wässrig aufgelöstes Farbmaterial wechseln einander ab und verstärken sich gegenseitig.
Waren es früher die dünnen, ein wenig krakeligen oder wulstigen Linien, die aus zwei Farbflächen eine Landschaft machten und eher wie ein lakonischer Kommentar zu lesen waren, so sind es bei den neueren Arbeiten die Titel, die dem Bild eine neue Interpretationsmöglichkeit bringen.
Bei einer großen blauen Arbeit kann die Frage, was dort möglicher Weise zu erkennen ist, noch sehr unterschiedlich beantwortet werden, wenn aber der Titel „Seestück mit Tüte“ hinzukommt, ist es plötzlich ziemlich klar, dass diese Tüte nur aus Plastik sein kann. Bilder aus dem Netz, auf denen Millionen von Plastiktüten im Meer schwimmen, sind plötzlich präsent.
Bei einem weiteren Bild, das aus blauen und grünen ineinanderfließenden Farben besteht, die an eine Berglandschaft erinnern, lodert genau im Zentrum eine rote Öllache aus gehärtetem Lack. Ein glänzender roter Farbklecks, der an ein Feuer erinnert. Die Proportionen sind verschoben, der Fleck ist viel zu groß, um ein kleines Feuer in der Landschaft zu sein. Außerdem glänzt die rote Farbe wie Lack, was ihre Künstlichkeit betont und sie noch weniger zu einem Feuer macht. Dennoch können wir uns der Assoziation eine brennende Berglandschaft zu sehen gar nicht oder nur sehr schwer entziehen. Hier ist es der Titel des Bildes, der einen gedanklich auf andere Gleise bringen kann: Katharsis.
Reinigung, Erziehung, Stellvertretung, Abfuhr: der Begriff Katharsis ist inzwischen ein schillernder, mehrdeutiger geworden. Ursprünglich bedeutete er im Griechischen eine spirituelle Reinigung. In der Psychologie steht er für das kontrollierte Bearbeiten von Gefühlen durch Ersatzhandlungen, wie beispielsweise das Ausleben von Aggressionen durch das Schlagen mit einem Schamstoffschwert.
Taucht der Begriff als Bildtitel auf, stellt sich auch die Frage, ob nicht auch Bilder oder Werke der bildenden Kunst als Ersatzhandlung für etwas anderes in den Dienst genommen werden könnten. Was wäre hier das „Schamstoffschwert“ als Stellvertretung für die tatsächlich stattfindende Zerstörung der Natur in der Realität?
Die Arbeiten zeigen, dass die Landschaft, der sich Tobias Wyrzykowski zugewendet hat, subtil und der Zeit gemäß um eine Dimension erweitert worden ist, nämlich um die der schleichenden Zerstörung. Das Bild „Wiese“ zeigt verschiedene Schmetterlinge in Originalgröße, die über einer Art Cocktail aus giftig-grüner Farbe schweben. Fast alle der dort abgebildeten Schmetterlingsarten sind in stadtnahen Gärten gar nicht mehr zu finden, sondern nur noch in unberührteren Regionen, wie im Gebirge zu sehen.
Das Wissen um die schleichende und oft unsichtbare Zerstörung der Natur und damit der Lebensräume anderer Lebewesen ist allgegenwärtig. Dennoch findet es nicht immer Eingang in unsere Vorstellungen, die wir von Dingen haben. Der übliche Blick auf eine „Landschaft“ bleibt immer an der Oberfläche, aber man würde sich eine Sensibilität wünschen, die die schleichende Zerstörung bis ins kleinste Element mit wahrnimmt
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